Einleitung

Die internationale Mobilität spielt für das Arbeitskräfteangebot Wiens eine wichtige Rolle. Als einziges Bundesland mit deutlich steigender Erwerbsbevölkerung profitiert Wien im Besonderen vom Erwerbspotenzial junger Menschen. Der im Zeitraum 2010 bis 2022 erfolgte Zuwachs von rund 134.000 unselbstständig Erwerbstätigen geht nahezu ausschließlich auf ausländische Staatsangehörige zurück (97 Prozent). Die Migration hat damit in Wien entscheidende demographische Effekte wie das Altern der sogenannten Baby-Boomer-Generation aufgewogen. Außerdem ist Wien das einzige Bundesland, in dem die Zahl der Erwerbspersonen laut Statistik Austria auch weiterhin steigen wird. Auch die 2021 im Mikrozensus erhobenen Gründe für Zuwanderung verdeutlichen die Bedeutung der Erwerbsmigration für Wien: Rund ein Viertel der im Jahr 2021 Zugewanderten ist aus Erwerbsgründen nach Wien gezogen, während circa 14 Prozent aus Gründen der Flucht, 12 Prozent aus Bildungsgründen und etwa die Hälfte aus familiären Gründen eingewandert ist.

Nicht nur aufgrund dieser bedeutenden Rolle für Wien wird das Querschnittsthema der internationalen Mobilität auch im Aufgabenbereich des Fachkräftezentrums einen entscheidenden Stellenwert einnehmen. Sie ist für einige im Rahmen der strategischen Schwerpunktsetzungen beschriebenen Branchen und Berufe von elementarer Bedeutung, denn in von Fachkräftemangel stark geprägten Bereichen wie der Pflege oder der Informations- und Kommunikationstechnologien wird bereits heute auf Fachkräfte aus dem Ausland zurückgegriffen. Dieser Trend wird etwa in Anbetracht des weitreichenden Strukturwandels auch in Zukunft nicht abnehmen. Die wachsenden Herausforderungen der Klimakrise und die dynamischen technologischen Fortschritte werden die Nachfrage nach Spezialist*innen auch weiterhin stark mitbestimmen.

Die für Fachkräftesicherung zentralen Fragen dieses sehr breiten Themenfelds betreffen zum einen die Möglichkeiten der gelenkten Zuwanderung, zum anderen aber auch die Bedeutung des Arbeitsmarktpotenzials von bereits (seit längerem) in Wien lebenden Migrant*innen. Es geht folglich einerseits um das Potenzial durch die Anwerbung von Fachkräften für den österreichischen Arbeitsmarkt und die damit verbundenen rechtlich-politischen Rahmenbedingungen und andererseits um die Möglichkeiten der Förderung von Qualifikationen und Kompetenzen von Migrant*innen für den hiesigen Arbeitsmarkt. Für beide Gruppen ist die Ausgestaltung von aufenthaltsrechtlichen Bedingungen von Relevanz. Ebenso knüpfen Fragestellungen nach den für die berufliche Qualifizierung zumeist relevanten Deutschkenntnissen hier an. Gleichzeitig sind für diese beiden Zielgruppen aber auch unterschiedliche diskursrelevante Themenbereiche identifizierbar, denen sich das Fachkräftezentrum künftig verstärkt widmen wird. Dazu wird in einem ersten Schritt der Fokus auf die Gewinnung neuer Fachkräfte für den österreichischen Arbeitsmarkt gelenkt, wie im folgenden Abschnitt beschrieben.

Zugangsmöglichkeiten zum österreichischen Arbeitsmarkt erweitern

Während Fachkräfte aus EU- und EWR-Staaten sowie aus der Schweiz im Rahmen der Arbeitnehmer*innenfreizügigkeit freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt haben, unterliegt die Beschäftigung von Drittstaatenangehörigen gesetzlichen Regelungen, die im Wesentlichen auf dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) beruhen. Diese relativ große Differenz in den Zugangsbedingungen spiegelt sich auch in den realen Zahlen wider: Die größte Zuwanderungsgruppe kam im Jahr 2021 mit fast 60 Prozent aus den EU- und EFTA-Staaten (inkl. UK), während rund 40 Prozent der Zugezogenen aus Drittstaaten nach Wien gezogen sind. Es zeigt sich damit folglich ein großes Potenzial in der Erwerbszuwanderung durch Drittstaatenangehörige für den Wiener Arbeitsmarkt. Für Fragen der Anwerbung von qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten steht allerdings auch immer wieder die Frage im Raum, ob die vorhandenen Zugangsmöglichkeiten dafür ausreichen.

Als wichtigstes Instrument, um Fachkräfte aus Drittstaaten in Österreich zu beschäftigen, gilt das kriteriengeleitete Zuwanderungsmodell der sogenannten Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR), das auf Grundlage der Fachkräfteverordnung für jeweils ein Kalenderjahr erlassen wird. Die Rot-Weiß-Rot-Karte kombiniert eine Aufenthaltsgenehmigung mit einer Arbeitsgenehmigung und ermöglicht bestimmten Personengruppen so den Aufenthalt in Österreich für jeweils zwei Jahre. Die Anspruchsberechtigung wird über ein Punktesystem erhoben, das im Rahmen bestimmter Zulassungskriterien, wie etwa Berufserfahrung, Sprachkenntnisse und Alter, das Erreichen einer je nach Personengruppe spezifischen Mindestpunkteanzahl vorsieht.

Zu den Personengruppen, denen über diese Regelungen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt gewährt werden kann, gehören: Besonders Hochqualifizierte, Sonstige Schlüsselkräfte, Studienabsolvent*innen österreichischer Hochschulen und Selbstständige Schlüsselkräfte sowie Start-up-Gründer*innen, vor allem auch Fachkräfte in den sogenannten Mangelberufen, wie sie in der vom BMAW jährlich veröffentlichten Mangelberufsliste erfasst werden. Letztere stellen die größte Gruppe von Antragssteller*innen innerhalb Regelung der Rot-Weiß-Rot-Karte dar. Im Jahr 2022 gab es für Wien 2.448 Zulassungen, von welchen 734 zu den Mangelberufen zählten.

Die jeweils Anfang Jänner veröffentlichte Liste dient der Dokumentation jener Berufe, in denen im entsprechenden Jahr besonderer Fachkräftemangel vorherrscht. Das Kriterium für die Listung ist das Verhältnis erwerbsarbeitsloser Personen pro offener Stellen. Dafür wird die Stellenandrangsziffer des AMS als Indikator herangezogen. Kommen auf eine beim AMS gemeldete offene Stelle weniger als 1,5 Arbeitsuchende, gilt ein Beruf als Mangelberuf und wird entsprechend angeführt. Dies eröffnet Arbeitgeber*innen folglich die Möglichkeit, für die gelisteten Berufe Arbeitskräfte auch aus Drittstaaten anzuwerben. Seit 2018 werden nun auch regionale Mangelberufslisten geführt. Seit der Einführung des Instruments 2011 ist die Anzahl der auf der Mangelberufsliste gelisteten Berufen ständig gestiegen. Während 2012 für Wien nur 26 Berufe gelistet waren, betrug ihre Zahl im Jahr 2023 bereits 102.

Diese verstärkte Nachfrage nach Fachkräften aus Drittstaaten geht mit regelmäßigen Adaptionen von Zugangsbedingungen für Drittstaatsangehörige einher. Die Rot-Weiß-Rot-Card wird dazu immer wieder Reformen unterzogen, die innerhalb einzelner Kriterien Erleichterungen für potenzielle ausländische Fachkräfte bieten. Diese Prozesse gilt es auch künftig in den Fokus zu nehmen, um Zugangserleichterungen zu schaffen.

Gleichzeitig gilt es, die Komplexität im Verwaltungsapparat zu reduzieren, wozu etwa One-Stop-Einrichtungen wie das Business Immigration Office einen Beitrag leisten können. Ferner ist die (Weiter-)Entwicklung von Online-Portal-Lösungen für die Abwicklung der komplexen Verfahren zu forcieren.

Attraktivität in der Anwerbung qualifizierter Fachkräfte berücksichtigen

Für die Anwerbung von qualifizierten Fachkräften können zahlreiche Kontextfaktoren von entscheidender Bedeutung sein: die Attraktivität von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen, aber auch die Attraktivität des Niederlassungsgebiets, die allgemeinen Zulassungskriterien oder die Regulatoren zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, die für die Betroffenen mehr oder minder erschwerend ausgestaltet sein können. Ebenso können allgemeine Fragen etwa von Teilhabechancen, leistbarem Wohnraum, Infrastruktur, Voraussetzungen für Familienzusammenführung und Familienleben die Entscheidung für den Zuzug beeinflussen. In einer von der Industriestaatenorganisation OECD zur Attraktivität der Länder für gutausgebildete Migrantinnen und Migranten erstellten Analyse scheiden einige europäische Staaten wie Frankreich, Schweiz oder die skandinavischen Länder deutlich besser ab als Österreich, das von 38 Plätzen den 26. Rang belegt. Dabei identifizierte Problemlagen betreffen etwa die beschriebenen erschwerenden Zugangskriterien, welche mit einer hohen Ablehnungsquote bei grundsätzlichem Vorliegen notwendiger Voraussetzungen einhergehen, aber auch die lange Dauer des Verfahrens und dessen Praktikabilität, das Umfeld für Familienangehörige, das „Klima“ gegenüber Eingewanderten oder etwa auch das Steuersystem betreffen.

Allerdings wird Wien bekanntermaßen seit Jahren in internationalen Befragungen zur lebenswertesten Stadt gewählt. Die Stadt punktet dabei vor allem durch ihr gut ausgebautes Gesundheitssystem und das abwechslungsreiche Kultur- und Freizeitangebot. Damit birgt Wien ein außergewöhnliches Potenzial, das auch in der Anwerbung neuer Fachkräfte für den Wiener Arbeitsmarkt bestens genutzt werden kann.