1.5 Strategische Ansätze für eine erfolgreiche Fachkräftesicherung
Im Rahmen der Entwicklung des Fachkräftezentrums wurden strategische Handlungsfelder identifiziert, die eine Basisstruktur für die erfolgsversprechende Bearbeitung von spezifischen und drängenden Fragestellungen betreffend Fachkräftesicherung bilden können. Diese Handlungsfelder bedingen einander und sind als allgemeine strategische Ansätze zu verstehen, um neue Aufgaben und inhaltliche Priorisierungen in dessen Rahmen identifizieren und weiterentwickeln zu können. Dazu bietet sich die Kategorisierung der Handlungsfelder in Qualifizierung, Mobilisierung und Bindung an. Die Grundlage für die Auswahl dieser Gliederung sowie die inhaltliche Gestaltung beruht auf Empfehlungen des eigens in Auftrag gegebenen Handbuchs „Strategische Handlungsfelder Fachkräftemangel“.
Qualifizierung
Zu den zentralen Grundpfeilern einer wirksamen Fachkräftestrategie zählen Initiativen im Bereich Qualifizierung, die im Besonderen die zielgerichtete und an den Bedarfen des Arbeitsmarkts orientierte berufliche Qualifizierung meinen.
Eine Möglichkeit, auf aktuelle und künftige Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren, besteht etwa in der Erhöhung von Ausbildungskapazitäten, wie der Schaffung entsprechender Schulzweige, in Form von neuen (berufsbildenden) Schulen oder als Spezialisierungen im Rahmen bestehender Schultypen. Die Nutzung von Instrumenten zur Anpassung von Ausbildungen an die wirtschaftlichen Bedarfe und die Förderung bereichsübergreifender Kooperation unterstützt dabei die Entwicklung von neuen Ausbildungs- und Qualifizierungsprogrammen.
Spätestens seit der im Jahr 2004 auf EU-Ebene beschlossenen Guidance Resolution ist auch die Bedeutung von Bildungs- und Berufsberatung (Lifelong Guidance) als lebensbegleitender Prozess ein Thema. Auch im Hinblick auf das ambitionierte Ziel der Deckung von Fachkräftebedarfen sind Angebote der Berufs- und Bildungsberatung unverzichtbar. Lebensbegleitende Berufsberatung erreicht dabei insbesondere auch jene Menschen, die an beruflichen Scheidewegen stehen und (auch als Quereinsteiger*innen) neue berufliche Chancen wahrnehmen möchten.
Die tiefgreifenden Auswirkungen des technologischen und ökologischen Strukturwandels hinterlassen mitunter Lücken in der Kompetenzausstattung (potenzieller) Beschäftigter, die mit zielgerichteter und bedarfsorientierter Aus- und Weiterbildung geschlossen werden können. Die Bedeutsamkeit der Entwicklung und Förderung nachgefragter Kompetenzen ist daher ein zentrales Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, welche Mismatch-Faktoren zu reduzieren suchen.
Mobilisierung
Ein Handlungsansatz auf dem Weg zur Deckung von Wiener Fachkräftebedarfen kann die Nutzung des Potenzials von Arbeitslosen sowie der Nichterwerbsbevölkerung darstellen. Die Bundeshauptstadt weist einen vergleichsweise hohen Anteil an langzeitarbeitslosen Personen auf. Einige Gruppen tragen ein deutlich erhöhtes Risiko, langzeitarbeitslos zu werden. Dazu gehören vor allem Menschen, die über keine über den Pflichtschulabschluss hinausgehende (Aus-)Bildung verfügen, oder jene, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen schwer vermittelbar sind.
Die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen ist in Wien zwar höher als in den anderen Bundesländern. Aber auch hier arbeiten nach wie vor mehr Frauen als Männer in Teilzeit. Darüber hinaus sind trotz der massiven Fortschritte in der Gleichstellung von Männern und Frauen in den letzten Jahren nach wie vor bestimmte Branchen, Berufe und betriebliche Funktionen deutlich von Männern dominiert. Ein Blick auf die Branchen mit dem größten Fachkräftemangel verdeutlicht überdies, dass es sich dabei überwiegend um geschlechtstypische Berufe handelt, also um Berufe, die entweder überwiegend von Frauen oder von Männern ausgeübt werden. Für eine nachhaltige Fachkräftestrategie sind daher gleichstellungspolitische Maßnahmen essenziell.
Wien ist als großstädtischer Raum von internationaler Migration geprägt. Diese hat für Wien die Auswirkungen demographischer Entwicklungen aufgewogen, wie etwa des Alterns der Baby-Boomer. Die migrationspolitischen und aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen bestimmen in hohem Maße mit, unter welchen Voraussetzungen neue Fachkräfte für Arbeitskräftesicherung angeworben und für einen dauerhaften Verbleib motiviert werden. Systematische und zielorientierte Kooperationen können einen Beitrag leisten, um eine an den Bedarfen des Arbeitsmarkts orientierte (Weiter-)Entwicklung entsprechender Zugangsoptionen für Zugewanderte zu garantieren. Die Ausgestaltung von aufenthaltsrechtlichen Rahmenbedingungen ist auch für Wiener Migrant*innen bzw. Personen mit Migrationshintergrund von Relevanz. Diese Gruppen verzeichnen starke Mismatch-Faktoren der Unter- und Überqualifikation.
Die aktuell hohe Nachfrage nach Arbeitskräften bietet auch für die jene Personengruppe Chancen am Arbeitsmarkt, die zur Stillen Reserve gezählt werden können. Hier sind Frauen deutlich überrepräsentiert, aber auch Personen der ersten Zuwanderungsgeneration.
Hohes Potenzial birgt darüber hinaus die Gruppe der älteren Beschäftigten. Vergleiche zeigen, dass die Erwerbsquote der 60- bis 64-Jährigen mit rund 35 Prozent wesentlich niedriger ausfällt als etwa jene der 55- bis 59-Jährigen, deren Erwerbsbeteiligung bei über 80 Prozent liegt.
Bindung von Fachkräften
Das Ziel der Sicherung von Fachkräften kann nur gelingen, wenn auch in der Arbeitsumgebung von Beschäftigten lernförderliche und attraktive Bedingungen vorherrschen. Dafür bedarf es erfolgsversprechender Strategien und Lösungskonzepte einerseits für die Anwerbung und andererseits für die Förderung von qualifizierten Fachkräften innerhalb von Unternehmen und Organisationen. Diese sind zentrale Orte des Lernens im Erwachsenenalter und die wohl wichtigste Quelle für die Entwicklung beruflicher Fähigkeiten. Im Arbeitsprozess werden Kompetenzen erworben, die nur schwer außerhalb erlangt werden können. Unternehmen kommt damit immer eine Doppelrolle zu – sie fragen Skills und Qualifikation nach, sie stellen diese aber auch her.
Für den Aufbau fachlicher Qualifikationen kann auch die gezielte betriebliche Weiterbildung einen Beitrag leisten. Investitionen in Weiterbildung sind in größeren Betrieben höher als in klein- und mittelständischen Unternehmen. Entsprechende politische Regulatoren, Kooperationen von Unternehmen und (berufsbildenden) Schulen sowie Ausbildungsstätten, aber auch Förderungen für kleine und mittelständische Unternehmen und Organisationen sind daher essenzielle Bestrebungen auf dem Weg zur Deckung von Fachkräftebedarfen.
Aufgrund der aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt kommt dem Thema Arbeitsplatzqualität große Bedeutung zu. Viele Unternehmen erkennen bereits die Notwendigkeit der Aufwertung von Arbeitsplatzbedingungen und führen zum Beispiel flexiblere Arbeitszeitmodelle ein oder setzen auf gesundheitsförderliche Strategien. Arbeitsplatzqualität lässt sich aber auch durch politische Eingriffe und sozialpartnerschaftliche Interventionen regulieren, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. Entsprechende Strategien können einen wesentlichen Beitrag zur Attraktivität des Berufs und der Branche leisten und in Folge für eine erhöhte Nachfrage seitens Arbeitssuchender sorgen.