1.2 Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktentwicklung in Wien – Aktuelle Fachkräftesituation aus empirischer Sicht
Arbeitsmarktentwicklung in der Metropolregion Wien
Derzeit längste Phase eines Beschäftigungsanstiegs in Wien
Wien erlebte innerhalb der letzten Jahre ein historisch einmaliges Beschäftigungswachstum. Im Zeitraum 2010 bis 2022 sind in der Bundeshauptstadt ca. 133.000 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse entstanden. Damit stieg die Beschäftigung in diesem Zeitraum um +17,5 Prozent und lag damit leicht über dem österreichweiten Beschäftigungswachstum (+16,5 Prozent). Eine auch nur annähernd vergleichbare Episode eines Beschäftigungswachstums hat es in Wien nach dem 2. Weltkrieg nie gegeben. Seit 2005 gab es nur in zwei einzelnen Jahren einen Beschäftigungsrückgang: Einerseits im Jahr 2009 aufgrund der Finanzkrise und andererseits im Jahr 2020 im Zuge der Corona-Krise. Diese kurzen Episoden eines Beschäftigungsrückgangs wurden in den Folgejahren rasch kompensiert. Besonders stark fiel das Beschäftigungswachstum in den vergangenen beiden Jahren aus. Mit einem Anstieg der Beschäftigung um ca. +29.000 Beschäftigungsverhältnisse (bzw. +3,3 Prozent) wurde im Jahr 2022 das höchste Beschäftigungswachstum seit 1956 erzielt. Dies führt dazu, dass in Wien 2022 ein neuer Höchststand der Beschäftigung erreicht wurde. Sowohl bei der unselbstständigen Beschäftigung als auch bei den Selbstständigen wurden neue Rekordwerte erzielt.
Jahr | Anzahl |
---|---|
1950 | -1497 |
1951 | 10016 |
1952 | -12273 |
1953 | -5105 |
1954 | 20866 |
1955 | 10325 |
1956 | 30607 |
1957 | 17368 |
1958 | 9405 |
1959 | 11535 |
1960 | 15882 |
1961 | 10183 |
1962 | 3792 |
1963 | -5645 |
1964 | -295 |
1965 | -920 |
1966 | -6163 |
1967 | -13505 |
1968 | -10057 |
1969 | -6284 |
1970 | -378 |
1971 | 7934 |
1972 | 6777 |
1973 | 15545 |
1974 | 7800 |
1975 | 1145 |
1976 | 10834 |
1977 | 9955 |
1978 | -4984 |
1979 | -12001 |
1980 | -11049 |
1981 | 1091 |
1982 | -9963 |
1983 | -19701 |
1984 | -3676 |
1985 | 509 |
1986 | 7187 |
1987 | 695 |
1988 | 3205 |
1989 | 6383 |
1990 | 2102 |
1991 | 18773 |
1992 | 8832 |
1993 | -2913 |
1994 | -843 |
1995 | -7632 |
1996 | -9351 |
1997 | -5699 |
1998 | 2308 |
1999 | 6324 |
2000 | -2843 |
2001 | -3177 |
2002 | -10608 |
2003 | 529 |
2004 | -6324 |
2005 | 759 |
2006 | 9513 |
2007 | 10545 |
2008 | 11857 |
2009 | -8267 |
2010 | 1419 |
2011 | 12864 |
2012 | 9210 |
2013 | 4943 |
2014 | 4651 |
2015 | 5941 |
2016 | 11549 |
2017 | 15472 |
2018 | 19591 |
2019 | 15586 |
2020 | -21179 |
2021 | 26096 |
2022 | 28811 |
Die überregionale Bedeutung des Wirtschaftsstandorts Wien zeigt sich in den konstant hohen Zahlen an Pendler*innen aus den österreichischen Bundesländern. Im Jahr 2020 pendelten ca. 274.000 Personen nach Wien ein und ca. 102.000 Personen aus Wien aus. Der Pendler*innensaldo von ca. 172.000 Personen (2020) veränderte sich in den vergangenen Jahren kaum. Diese Daten zeigen, dass der Wiener Arbeitsmarkt stark über die Bundeslandgrenze hinausragt und als überregionaler Arbeitsmarkt der Metropolregion Wien gesehen werden kann.
Die Gründe für den starken Beschäftigungszuwachs der letzten 10 bis 15 Jahre sind vielfältig. Die drei wichtigsten werden an dieser Stelle kurz angeführt:
Im Rahmen der EU-Osterweiterung wurde der österreichische Arbeitsmarkt im Jahr 2011 für zehn osteuropäische Länder, im Jahr 2014 für Rumänien sowie Bulgarien und im Jahr 2020 für Kroatien vollständig zugänglich gemacht. Der sich über viele Jahrzehnte an der Außengrenze der EU befindliche Wiener Arbeitsmarkt rückte dadurch innerhalb der letzten 15 Jahre zunehmend ins Zentrum der Europäischen Union. Dies hatte deutliche Auswirkungen: Rund die Hälfte des Wiener Beschäftigungszuwachses seit dem Jahr 2010 geht auf Personen aus osteuropäischen EU-Ländern zurück. Für die kommenden Jahre wird mit geringer werdenden Migrationsbewegungen aus den osteuropäischen EU-Ländern gerechnet.
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Die demographische Entwicklung Wiens mit einem äußerst starken Bevölkerungswachstum innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte hat spürbare Auswirkungen auf den Wiener Arbeitsmarkt. Wien ist seit 2009 um die Größe von Graz gewachsen und könnte im Jahr 2023 – erstmals seit 1910 – eine Bevölkerungszahl von über 2 Mio. Einwohner*innen erreichen. Dieses Bevölkerungswachstum generiert zusätzliche Nachfrage in Wien: In Form von konsumierten Gütern und privaten bzw. öffentlichen Dienstleistungen, die von der wachsenden Bevölkerung in Anspruch genommen werden.
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Die innerhalb der vergangenen Jahre besonders starken Beschäftigungszuwächse sind auch auf eine gute internationale Konjunkturentwicklung seit der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre zurückzuführen, welche lediglich durch die Corona-Krise im Jahr 2020 unterbrochen wurde. Hinzu kommt, dass die Beschäftigung jeweils stärker gewachsen ist, als die Prognosen im Vorhinein vermuten ließen.
Breites Beschäftigungswachstum in Wien seit 2010
Ein Blick auf die Branchenverteilung zeigt die Breite des Wiener Beschäftigungswachstums seit 2010. Am stärksten stieg die Beschäftigung in der Branche Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen, gefolgt von der IKT-Branche. Diese beiden Branchen sind seit 2010 um ca. 50 Prozent gewachsen. Auch bei den weiteren Branchen mit starken Beschäftigungswachstum handelt es sich ausschließlich um Branchen des Dienstleistungssektors, wobei sowohl marktorientierte als auch öffentlichkeitsnahe Dienstleistungsbranchen starke Zuwächse verzeichnen.
Branche | Zuwachs |
---|---|
Erbringung von freiberufl., wissenschaftl. und techn. Dienstleistungen | 24703 |
Information und Kommunikation | 22863 |
Erziehung und Unterricht | 17477 |
Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen | 17274 |
Gesundheits- und Sozialwesen | 16006 |
Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung | 15570 |
Beherbergung und Gastronomie | 9536 |
Handel | 9173 |
Bau | 8218 |
Kunst, Unterhaltung und Erholung | 1974 |
Höchste Zahl an offenen Stellen seit fast 50 Jahren
Innerhalb der letzten Jahrzehnte lag die Zahl der beim AMS gemeldeten offenen Stellen in Wien im Jahresdurchschnitt praktisch immer unter 10.000 offenen Stellen. Dies änderte sich mit dem Konjunkturaufschwung 2017 bis 2019: Erstmals seit den frühen 90er-Jahren gab es im Jahr 2018 wieder über 10.000 beim AMS gemeldete offene Stellen. Dieser Trend wurde in den darauffolgenden Jahren lediglich von der Corona-Krise kurz eingetrübt, in den beiden von besonders starkem Beschäftigungszuwachs geprägten Folgejahren 2021 und 2022 nahm die Zahl der offenen Stellen wieder rasant zu. Im Jahr 2022 gab es mit fast 18.000 offenen Stellen (Jahresdurchschnitt) so viele wie zuletzt im Jahr 1974. Vor diesem Hintergrund erreichte die international geführte Debatte um einen Fachkräftemangel auch Wien.
Jahr | Anzahl |
---|---|
2000 | 7016 |
2001 | 5179,75 |
2002 | 3518,16667 |
2003 | 2863,91667 |
2004 | 2943,33333 |
2005 | 4284 |
2006 | 5187,91667 |
2007 | 7112,5 |
2008 | 7308,25 |
2009 | 6109,16667 |
2010 | 6439,16667 |
2011 | 5452,25 |
2012 | 4576,25 |
2013 | 4169,08333 |
2014 | 4444,16667 |
2015 | 4558,08333 |
2016 | 5374,08333 |
2017 | 6865,25 |
2018 | 10244 |
2019 | 12784,75 |
2020 | 9354,41667 |
2021 | 14191,5833 |
2022 | 17996 |
Arbeitslosigkeit geht deutlich zurück – aber Arbeitslosenquote liegt nach wie vor über 10 Prozent
Die gute Beschäftigungsentwicklung der letzten Jahre hatte auch deutliche Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit. Der aufgrund der Corona-Krise im Jahr 2020 erzielte Höchststand an Arbeitslosen in Wien reduzierte sich seither deutlich und erreichte im Jahr 2022 mit ca. 138.000 Arbeitslosen (inkl. Personen in Schulungen) in etwa das Niveau des Jahres 2013. Dasselbe gilt für die Langzeitbeschäftigungslosigkeit und die Arbeitslosenquote, die nach Höchstständen im Jahr 2020 seither wieder deutlich gesunken sind und nun wieder unter dem Vorkrisenniveau liegen. Jedoch liegt die Arbeitslosenquote in Wien mit 10,5 Prozent nach wie vor über dem langjährigen Durchschnitt und zugleich deutlich über der österreichweiten Arbeitslosenquote. Trotz der außergewöhnlichen Entwicklung der Beschäftigung und der hohen Anzahl an offenen Stellen ist Wien somit nach wie vor weit von einer Situation der Vollbeschäftigung entfernt, einem erklärten langfristigen Ziel der Wiener Arbeitsmarktpolitik.
Nach der Pandemie folgt Knappheit am Arbeitsmarkt
Trotz der aktuellen internationalen Krisen zeichnen die Hauptindikatoren der Arbeitsmarktstatistik wie oben beschrieben für Wien ein so gutes Bild wie schon lange nicht mehr. Für zahlreiche Wiener Unternehmen ist es insbesondere nach den Corona-Krisenjahren zunehmend schwieriger geworden, ihren Arbeitskräftebedarf angemessen zu decken und offene Stellen mit geeignetem Personal zu besetzen. Der unerwartete Wirtschaftsaufschwung ab dem zweiten Quartal 2021 hatte eine starke Ausweitung des Arbeitskräftebedarfs in Wien zur Folge. Die hohe Zahl an offenen Stellen, die längere Suchdauer und die Ergebnisse aus Unternehmensbefragungen belegen die bestehenden Rekrutierungsschwierigkeiten der Wiener Betriebe.
Gibt es einen Fachkräftemangel in Wien?
Diese Situation führt zu der naheliegenden Frage nach dem Vorhandensein eines Fachkräftemangels in Wien. Dabei ist zunächst zu definieren, was unter Fachkräften als Teilgruppe aller Arbeitskräfte zu verstehen ist. Der Begriff „Fachkraft“ wird in der deutschsprachigen Literatur im Allgemeinen für Arbeitskräfte mit Ausnahme von ungelernten Hilfskräften verwendet. Fachkräfte sind also Personen mit unterschiedlich hohen Qualifikationsprofilen und in allen Tätigkeitsfeldern zu verorten, außer in jenen, in denen keine besonderen Vorkenntnisse notwendig sind.
Wie auch im Fall des Begriffs „Fachkraft“ gibt es keine einheitliche Definition eines „Fachkräftemangels“. Fast alle Beschreibungen beinhalten jedoch quantitative, qualitative und örtliche Komponenten. Ein Fachkräftemangel wird demnach als ein gewisses Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt (quantitative Komponente), einer bestimmten Art der Qualifikation (qualitative Komponente) und in einer Region (örtliche Komponente) beschrieben. Manche Definitionen beinalten auch eine zeitliche Komponente, die ein beständiges und nicht nur vorübergehendes Missverhältnis am Arbeitsmarkt meint, andere grenzen den Fachkräftemangel gegenüber Phänomenen wie Personalmangel oder Rekrutierungsschwierigkeiten ab.
Die folgende Definition eines Fachkräftemangels des Instituts für höhere Studien enthält die genannten vier Komponenten:
„Unter Fachkräftemangel verstehen wir […] eine Situation am Arbeitsmarkt, in der die Nachfrage nach bestimmten berufsfachlichen Qualifikationen deren Angebot auf nationaler, oder auch auf regionaler Ebene, substantiell übersteigt und es sich dabei nicht nur um ein konjunkturell bedingtes bzw. kurzfristiges Phänomen handelt.“
Die lediglich scheinbar einfache Frage nach einem Fachkräftemangel lässt sich nicht allein aufgrund der uneinheitlichen Definitionen nur unzureichend beantworten, sondern auch insofern, als hierfür keine ausreichend aussagekräftige Datengrundlage vorhanden ist. Die regionale Ebene steht dabei im Vergleich zur nationalen Betrachtung vor einer noch stärkeren Herausforderung. Dies hat die mit Bedarfsprognosen befasste Arbeitsgruppe des Projekts Fachkräftesicherung in Wien dazu veranlasst, eine wissenschaftliche Studie zur Analyse der Datenlage im Hinblick auf die Beurteilung der Fachkräftesituation zu beauftragen.
Nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft kann in der derzeitigen Situation, in der Unternehmen keine oder nur eine nicht ausreichende Zahl an Arbeitskräften finden, nicht automatisch eine gleichlautende Schlussfolgerung zur Fachkräftesituation am Arbeitsmarkt gezogen werden. Es gibt viele verschiedene Gründe und Auslöser für Besetzungsschwierigkeiten, die nicht unbedingt durch einen tatsächlichen Mangel an Fachkräften begründet sein müssen. Dazu zählen unter anderem hohe Fluktuation aufgrund schwieriger Arbeitsbedingungen, niedrige Bezahlung oder eine kurzfristige konjunkturelle Überlastung. Zusätzlich ist bei Diskussionen zum Thema Fachkräftemangel auch daran zu erinnern, dass ein gewisses Ausmaß an Problemen bei der Stellenbesetzung als „normal“ zu betrachten ist und sich kaum ändern lässt.
Erhebliche Datenlimitationen bei der Messung des Fachkräftebedarfs bzw. -mangels
Versucht man, den bestehenden Fachkräftebedarf bzw. -mangel quantitativ zu erfassen, ist man in Österreich mit erheblichen Datenlimitationen konfrontiert und stößt damit an die Grenzen der Arbeitsmarktstatistik. Sämtliche Datenquellen erfassen je nach verwendeter Erhebungsmethode und Definition nur Teile des Arbeitsmarktes und vermögen es nicht, den gesamten Arbeitsmarkt repräsentativ abzubilden. Für Wien kommt erschwerend hinzu, dass die Stichprobengrößen von Erhebungen für regionale Analysen häufig nicht ausreichend sind.
Die Einschränkungen der Datenlage zur Beurteilung der Fachkräftesituation betreffen jedenfalls sowohl die Fachkräfteangebotsseite als auch die Fachkräftenachfrageseite. Denn in der österreichischen amtlichen Statistik sind weder verlässliche Daten zu ausgeübten Berufen und Arbeitszeitinformationen von Beschäftigten vorhanden, noch sind ausreichend repräsentative und regional auswertbare Zahlen über offene Stellen verfügbar, die den gesamten Arbeitsmarkt abdecken. Dies wäre für eine Ermittlung des regionalen Fachkräftebedarfs jedoch essenziell.
Um die Datenlage für die Zukunft zu verbessern, wurde Statistik Austria gemeinsam mit dem Institut für Höhere Studien (IHS) im Jänner 2022 mit dem groß angelegten Projekt der Entwicklung eines Fachkräftescreenings für Österreich vom Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft beauftragt. In Rahmen des Projekts wurden explorative Analysen und Machbarkeitsstudien durchgeführt, um zukünftige Möglichkeiten zur Datengewinnung auszuloten. Denn angesichts der unzureichenden Datenlage, die derzeit bereits bei der Erhebung des Status quo der Fachkräftesituation für Österreich besteht, ist auch die Frage nach der Möglichkeit einer Prognose des regionalen Fachkräftebedarfs für Wien derzeit mit einem „Nein“ zu beantworten. Statistik Austria hat diesen Umstand im Endbericht des genannten Projekts folgendermaßen beurteilt:
„Zusammengefasst muss festgestellt werden, dass auf Grundlage der in Österreich vorhandenen Daten weder das Angebot noch die Nachfrage nach Fachkräften in einem zufriedenstellenden Detailgrad prognostiziert werden kann.“
In einer Kooperation des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft und des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) wurde im Juni 2023 ein Engpassindikatoren-Modell (Fachkräftebarometer) für Österreich vorgestellt. Dieses Modell soll einmal pro Quartal aktuell auftretende Ungleichgewichte zwischen Fachkräfteangebot und -nachfrage für über 600 Berufe darstellen. Neben Daten des AMS (für Arbeitssuchende und offene Stellen) werden als Ergänzung auch Online-Jobinserate aller verfügbaren Plattformen verwendet, um die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Stellenmarktes in Österreich besser abzubilden. Beschäftigungsdaten werden aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit auf Berufsebene nicht verwendet.
Aktuelle Prognosen über den Wiener Arbeitsmarkt
Auch wenn die aktuelle Datenlage der österreichischen Arbeitsmarktstatistik keine regionalen und nach Berufen differenzierten Aussagen zu einem Fachkräftemangel zulässt, stehen gegenwärtig Arbeitsmarktprognosen zur Verfügung, die für eine Einschätzung der Arbeitsmarktlage von zentraler Bedeutung sind. Im Folgenden werden einige Ergebnisse aus aktuellen Arbeitsmarktprognosen kurz skizziert.
Beschäftigungswachstum in Wien um +65.000 Beschäftigungsverhältnisse bis 2028
Für die kommenden Jahre wird seitens des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) mit einem anhaltenden Beschäftigungswachstum in Wien gerechnet. Im Zeitraum 2021 bis 2028 werden für Wien ca. 65.000 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse prognostiziert. Das Beschäftigungswachstum soll in diesem Zeitraum ausschließlich im Dienstleistungssektor stattfinden und dabei zu zwei Dritteln im Bereich der marktbezogenen Dienstleistungen und zu einem Drittel in öffentlichkeitsnahen Dienstleistungen. Zusätzliche Jobs sollen im Zeitraum 2021 bis 2028 zu knapp über 50 Prozent für Personen mit akademischer Ausbildung und zu ca. 40 Prozent für Personen mit mittleren Qualifikationen entstehen. Für Personen mit maximal Pflichtschulniveau stagniert laut WIFO die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse in Wien in den kommenden Jahren.
Wien als einziges Bundesland mit deutlich steigender Erwerbsbevölkerung bis 2030
Wien weist aufgrund der deutlichen Migration der vergangenen Jahre eine vergleichsweise junge Bevölkerungsverteilung auf. Viele junge Menschen kamen in den letzten Jahrzehnten nach Wien und begannen hier zu arbeiten. Dies hat zahlreiche Auswirkungen auf die Wiener Beschäftigungsstruktur. Laut WIFO ist Wien „somit eine im Vergleich zu den erstrangigen europäischen Metropolen Europas ‚junge‘ Stadt mit einem erheblichen Erwerbspotenzial“. Im Bundesländervergleich zeigt sich, dass Wien bis 2030 das einzige Bundesland ist, in dem die Zahl der Erwerbspersonen auch weiterhin deutlich steigen wird. Das bedeutet, dass in den kommenden Jahren, in denen die Baby-Boomer-Generation in Pension gehen wird, in Wien kein Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen bevorsteht. Wien unterscheidet sich diesbezüglich von allen anderen österreichischen Bundesländern, was insbesondere im Rahmen von Diskussionen zu Maßnahmen zur Bekämpfung eines Fachkräftemangels Berücksichtigung finden sollte.
Bundesland | Veränderung |
---|---|
Wien | 4,5276701554381305 |
Vorarlberg | -1,2529073 |
Österreich | -1,9870182 |
Oberösterreich | -2,4884586 |
Salzburg | -3,164032 |
Tirol | -3,3794318 |
Niederösterreich | -3,6312453 |
Steiermark | -4,9053103 |
Burgenland | -5,6780824 |
Kärnten | -7,7664424 |
Möglichkeiten inhaltlicher Gestaltung von Bedarfsanalysen zur Fachkräftesituation in Wien
Das Ziel empirischer Analysen zur Fachkräftesituation ist klar: Der Erkenntnisstand über bestehende Fachkräftebedarfe soll verbessert werden und die Ergebnisse der Bedarfsanalysen so aufbereitet sein, dass zielgerichtete wirtschafts-, sozial- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Deckung von Fachkräftebedarfen umgesetzt werden können.
Die bisherige Auseinandersetzung mit dem Thema Bedarfsanalysen zur Fachkräftesituation in Wien hat im Rahmen der entsprechenden Arbeitsgruppe des Projekts Fachkräftesicherung gezeigt, dass nur ein Mix aus unterschiedlichen Ansätzen und Methoden sinnvolle zusätzliche Erkenntnisse ermöglicht. Insbesondere Kombinationen aus quantitativen und qualitativen Methoden haben sich als zielführend für die Analyse der regionalen Fachkräftesituation erwiesen.
Branchenanalysen zur Fachkräftesituation in Wien
Um ein aussagekräftiges Bild der Fachkräftesituation zu erhalten, wird sowohl der Blick auf die Gesamtwirtschaft benötigt als auch die Fokussierung auf bestimmte Bereiche, wie zum Beispiel auf Branchen oder spezifische Berufsbereiche. Branchenanalysen stellen dabei eine geeignete Analyseebene dar, um solche Bereiche zu identifizieren, für die eine vertiefende Analyse sinnvoll erscheint. Im Rahmen der Entwicklung des Fachkräftezentrums erfolgten folgende Forschungsaufträge auf Branchenebene:
Branchenporträts zur Fachkräftesituation: Da die aktuelle Fachkräftesituation in verschiedenen Wirtschaftsbranchen unterschiedlich ausgeprägt ist, wurden für die zehn größten Branchen Wiens kompakte Porträts zur gegenwärtigen Fachkräftesituation erstellt. Diese Porträts gehen detailliert auf die unterschiedlichen Herausforderungen in den unterschiedlichen Bereichen der Wiener Wirtschaft ein und sollen dazu beitragen, künftigen Fachkräftebedarfen mit passenden Maßnahmen begegnen zu können.
Trendanalysen auf Branchenebene: Eine weitere Branchenanalyse widmet sich der langfristigen Entwicklung des Wiener Arbeitsmarktes bis 2040. Untersucht wird dabei unter anderem, welche Einflussfaktoren für ein voraussichtliches Wachsen oder Schrumpfen der Beschäftigung maßgeblich sind und in welchen Branchen sich in den kommenden 15 bis 20 Jahren eher eine Zunahme oder eher eine Abnahme von Jobs abzeichnet.
Tiefergehende Schwerpunktstudien – Beispiele Raus aus Gas bzw. Sonnenstrom-Offensive
Für bestimmte Branchen oder Berufsbereiche, in denen sich ein erhöhter Fachkräftebedarf abzeichnet, sind ergänzende Analysen bzw. Schwerpunktstudien sinnvoll, um diese Bedarfe besser beurteilen zu können. Auf dieser Detailebene ist es möglich, geeignete Methoden zu entwickeln bzw. zu kombinieren, um zu einer quantitativen Einschätzung der benötigten Fachkräfte zu gelangen. Wichtige Anwendungsbeispiele stellen Projekte und Programme der Stadt Wien im Zusammenhang mit der Energie- und Wärmewende dar, deren Erfolge unter anderem auch davon abhängen, ob die jeweiligen Maßnahmen aus der Sicht des Arbeitsmarktes bewerkstelligt werden können:
Programm Raus aus Gas: Wien plant die Wärmeversorgungswende im Gebäudebestand. Bis 2040 sollen rund 600.000 Gasthermen sukzessive durch klimafreundliche Alternativen ersetzt werden. Die Umstellung von Heizsystemen geht mit einem massiven Ausbau der Gebäudesanierungen einher. Dass dadurch Arbeitskräftebedarfe entstehen werden, ist naheliegend. Im Rahmen einer ersten Arbeitsmarktstudie wurde der Arbeitsaufwand pro Beruf für die Umrüstung von verschiedenen Heizsystemen sowie die Sanierung von Gebäuden erstellt. Weitere Studien und Analysen zu diesem Thema werden in den kommenden Jahren folgen.
Wiener Sonnenstrom-Offensive: Die Photovoltaik-Gesamtleistung soll in Wien von 50 Megawatt-Peak im Jahr 2021 auf 800 Megawatt-Peak im Jahr 2030 erhöht werden. Ziel der vom IHS erstellten Studie war es, die ökonomischen und arbeitsmarktbezogenen Aspekte der Wiener PV-Offensive, insbesondere hinsichtlich der Ausbildungs- und Fachkräftebedarfe, zu analysieren.
Die außergewöhnliche Entwicklung am Arbeitsmarkt mit einem noch nie dagewesenen Beschäftigungswachstum hat den Diskurs um die Fachkräftesituation stark in Gang gebracht und die Notwendigkeit der Entwicklung von Maßnahmen in den Vordergrund gerückt. Aktuell lässt sich der Fachkräftebedarf aufgrund von erheblichen Datenlimitationen nur unzureichend erfassen. Handlungsbedarfe bzw. die damit verbundenen inhaltlichen Prioritäten des Fachkräftezentrums können somit auch nicht allein auf Basis der derzeit vorhandenen (unzureichenden) Datenlage identifiziert werden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Erhebung des Fachkräftebedarfs, die beauftragten ergänzenden Studien und Analysen in Kombination mit den empirischen Daten helfen jedoch dabei, die derzeit zur Verfügung stehenden (limitierten) Daten einzuordnen und zu interpretieren. Auf diese Weise können potenzielle Anzeichen und Ursachen für einen Fachkräftebedarf ermittelt werden und es kann auf dessen Ausmaß geschlossen werden. Schließlich gibt es viele verschiedene Ursachen für Fachkräftebedarf und je nachdem, wie ein Bedarf zustande kommt, müssen auch unterschiedliche Maßnahmen zur Deckung des Bedarfs gesetzt werden.