Wie die Lehrausbildung zukunftssicher gestaltet wird
Interview
Die duale Berufsausbildung ist ein zentraler Pfeiler der Fachkräftesicherung und wird laufend an neue Herausforderungen angepasst. Die Sozialpartner verhandeln im Bundesberufsausbildungsbeirat (BBAB) neue Berufsbilder und beraten auf dieser Basis die Bundesregierung. Wir haben die Ratsmitglieder Anna Raith und Erich Huber zur Arbeit des Beirats befragt.
Wie erkennt man den Bedarf für einen neuen Lehrberuf? Wann sagt man, ein bestimmtes Berufsbild muss jetzt modernisiert werden – denn wir kommen mit dem, was wir haben, nicht mehr aus?
Erich Huber: Die Initiative kommt oft aus der Wirtschaft. So entstand etwa die Idee zum/zur Klimagärtner*in im Zusammenwirken der Wiener Innung der Gärtner mit der zuständigen Berufsschule. Vor zwei oder drei Jahren habe ich die ersten Schlagworte dazu gehört – da hat die Innung erstmals mit den Berufsschul-Vertreter*innen geredet. Dabei ist man sehr schnell von der Wiener Ebene auf die Bundesebene gekommen, sodass die Bundesinnung und dann auch sehr früh die Arbeitnehmer*innen-Seite eingebunden war. Dadurch haben viele fachliche Vorgespräche in einem informellen Rahmen stattgefunden, als vom BBAB noch keine Rede war.
Sie beide sind als Vertreter*innen der Arbeiter- bzw. Wirtschaftskammer Mitglieder im Bundesberufsausbildungsbeirat (BBAB). Worum geht es dabei?
Anna Raith: Es geht im BBAB um Fragen der dualen Berufsbildung. Die Sozialpartner kommen zusammen, um neue Berufsbilder zu besprechen oder bestehende zu überarbeiten. Es geht um Anpassungen an die technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, an die Bedürfnisse der Gesellschaft. Der Beirat verhandelt sinnvolle Ausbildungsinhalte und Kompetenzen der Absolvent*innen. Das, was eben von den Betrieben nachgefragt wird, und den jungen Fachkräften Arbeitsmarktmobilität erlaubt. Zusätzlich beschäftigen wir uns mit der Qualitätssicherung in der Berufsbildung. Bei all dem sind wir beratende Instanz für das zuständige Ministerium.
Im BBAB verhandelt also mehr oder weniger die Wirtschaftskammer mit der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft, um schließlich den oder die zuständige*n Minister*in zu beraten?
Huber: Um es genauer zu erklären: Die Wirtschaftskammer hat sieben Sparten, von denen je eine Vertretung dabei ist. Auf der Arbeitnehmerseite sind es die Arbeiterkammer und die Fachgewerkschaften. Es gibt stimmberechtigte Mitglieder mit je einem Ersatzmitglied. Als nicht stimmberechtigte Mitglieder sind zudem Vertreter*innen aus dem Berufsschulwesen dabei, die Schulqualitätsmanager*innen. Ich glaube, das ist auch sehr gut fürs duale System, dass bei diesen Themen die Berufsschulen über das Bildungsministerium mit eingebunden sind. Auch Vertreter*innen des Wirtschaftsministeriums sind dabei, weil sie die Adressaten der BBAB-Stellungnahmen sind.
Zwischen Vertreter*innen der Arbeitnehmerschaft und den Unternehmen gibt es oft unterschiedliche Zielvorstellungen. Wie läuft das im BBAB ab?
Raith: Grundsätzlich sehr konsensorientiert. Ich glaube, uns eint dieses Bild, dass die duale Berufsausbildung ein wichtiges Standbein der Fachkräfteausbildung in Österreich ist. Wir wollen sie gemeinsam weiterentwickeln und stärken. Wenn es dann im Detail um die einzelnen Berufsbilder geht, zieht jede Seite Expertinnen und Experten hinzu. Weder Herr Huber noch ich kennen uns zum Beispiel mit Elektrotechnik aus. Aber genau dafür gibt es die Unternehmer*innen in dem Bereich, oder in unserem Fall auch die Betriebsrät*innen.
Können Sie weitere Beispiele für junge Lehrberufen nennen, die in den letzten Jahren entwickelt wurden?
Huber: Es ist z.B. der Beruf Fernwärmetechniker*in beschlossen worden. Da hat man das Thema der Fernkälte hineingenommen und gesagt, das braucht es für die Berufsentwicklung.
Raith: Auch bei der Elektrotechnik ist einiges überarbeitet worden. Das ist ein Beruf mit vielen Spezialisierungen – sogenannten Spezialmodulen. Hier gab es einen längeren Diskussionsprozess.
Wenn wir bei der Schaffung eines völlig neuen Berufsbildes oder Lehrberufes sind – was gibt es dabei alles zu bedenken?
Raith: Zentral ist immer, dass es gute Ausbildungsplätze gibt, und in weiterer Folge natürlich gute Arbeitsplätze. Das ist der Grundtenor, mit dem wir in diese Diskussionen gehen: Ist die Beruflichkeit gegeben? Ist eine ausreichend große Arbeitsmarktmobilität gegeben? Kann der Beruf das Kinder- und Jugendbeschäftigungsgesetz ausreichend berücksichtigen? Werden Kompetenzen vermittelt, die am Arbeitsmarkt gefragt sind? Ist das Berufsbild zukunftsgerichtet? Im Endeffekt geht es darum, dass wir mit einem Win-win für Betriebe und Lehrlinge rausgehen. Dass es eine gute Ausbildung für beide Seiten ist.
Was gibt den Ausschlag dafür, dass am Ende ein separates Berufsbild steht? Warum sagt man nicht z.B., puncto Klima sollte jeder Gärtner, jede Gärtnerin Ahnung haben? Wie kommt man darauf, dass das etwas Eigenes sein sollte?
Raith: Das sind immer Diskussionsprozesse, wo versucht wird zu erkennen, ob es einen eigenen Ausbildungsberuf braucht, oder eine Spezialisierung oder Modularisierung sinnvoller ist. Das haben wir zum Beispiel beim KFZ-Techniker gemacht, wo es um Hochvolt-Antriebe ging, die in E-Autos eingebaut sind. Da hat man für den normalen KFZ-Techniker nur eine Modularisierung gemacht, also ein Spezialmodul eingeführt. Ich finde es in dem Sinn auch richtig, dass diese Impulse von Seiten der Wirtschaft kommen. Denn die Unternehmen, die schließlich Ausbildungsplätze anbieten, sind dementsprechend sehr nah am Thema dran. Sie geben an, welche Fachkräfte sie benötigen. Und darum haben sie das Recht, diesen Vorschlag zu machen. Aber in weiterer Folge, wenn es den Ausbildungsberuf gibt, kommt ihnen eben auch die Verpflichtung zu, die Ausbildungsplätze anzubieten.
Welche Rolle spielt die Lehre bei den Bemühungen zur Eindämmung des Fachkräftemangels?
Raith: Die Lehrausbildung ist ein starkes Instrument für die Fachkräftesicherung. Denn einerseits hat man selbst in der Hand, welche Inhalte vermittelt werden. Zudem kann man gerade über die betriebliche Ausbildung bereits Jugendliche ins Unternehmen reinholen und sie langfristig im Betrieb halten. Was wir natürlich bemerken, ist ein Rückgang der Betriebe, die insgesamt ausbilden. Die Quote ist in den vergangenen zehn Jahren um 16 Prozent gesunken. Da muss man genauer hinschauen, um die Hintergründe zu verstehen.
Huber: Ein wesentlicher Punkt ist hierbei die Demografie: Ein großer Teil unserer Fachkräfte kommt aus der Lehre, und viele davon gehen in den nächsten Jahren in Pension. Da fallen also sehr viele Fachkräfte recht plötzlich weg, und das reißt eine große Lücke. Die muss man schließen, und ein wesentlicher Beitrag dazu kann die Lehrlingsausbildung sein. Es wird sicher nicht allein damit möglich sein, aber das zeigt die Bedeutung, die sie für die Wirtschaft und für die Beschäftigung hat. Bei den Lehrlingen selbst haben wir aber auch das demografische Problem: Vor allem in den westlichen Bundesländern gibt es einen Rückgang der Jugendlichen. Und gleichzeitig entstand das Phänomen, dass Jugendliche mehr in schulische Ausbildungen gehen. Das heißt, es bleiben eigentlich weniger für die Lehre übrig. Ein weiterer Punkt, bei dem die Lehre eine wesentliche Rolle spielt, ist, dass man versucht, über den zweiten Bildungsweg Leute zu qualifizieren. Das sind Leute, die entweder andere Ausbildungen oder gar keine abgeschlossene Ausbildung haben. Die können dann auch eine Lehrabschlussprüfung machen und damit den Fachkräftestatus erwerben. Das sind nicht wenige, und das wird in Zukunft wahrscheinlich auch ein steigender Anteil sein, je nach Branche und Beruf unterschiedlich.
Ganz grundsätzlich: Geht die Lehrausbildung insgesamt in eine gute Richtung?
Raith: Ja, sie steht auf festen Beinen, muss aber auch weiterentwickelt werden. Gerade erst wurde etwa in Wien die Klima-Lehrausbildungsinitiative präsentiert. Ausbildungsberufe, die im Bereich der Ökologisierung der Wirtschaft liegen, sind tatsächlich Zukunftsberufe. In die muss man stärker investieren, weil sie sich sicher auch langfristig etablieren. Ich glaube, es hat eine wichtige Wirkung, dass die Stadt Wien hier stärker investiert.
Huber: Ich denke auch, dass das eine gute Sache ist. Nicht umsonst haben auch wir als Sozialpartner, AK und WK, zusammen mit dem waff, daran mitgewirkt. Bereits voriges Jahr gab es auch eine Klima-Lehrausbildungsprämie, die in dieselbe Kerbe schlägt. Und ganz unabhängig davon gilt es auch die Initiative „TOP-Lehrbetriebe“ anzuführen, die von der Stadt Wien gemeinsam mit den Sozialpartnern laufend umgesetzt wird.
Anna Raith, Teamleiterin Berufs- und Erwachsenenbildung bei der Arbeiterkammer Österreich, und Erich Huber, Leiter der Lehrlingsstelle in der Wirtschaftskammer Wien, vertreten ihre Organisationen im Bundesberufsausbildungsrat (BBAB). Dieser wurde mit dem Berufsausbildungsgesetz 1969 eingeführt und hat im Jahr darauf zum ersten Mal getagt. In der Regel gibt es elf Sitzungen des BBAB pro Jahr. Huber ist seit dem Jahr 2000, Raith seit 2022 Beiratsmitglied. Zusätzlich zum BBAB gibt es auf Ebene der Bundesländer auch noch die Landesberufsausbildungsbeiräte, die sich der Entwicklung auf Landesebene und der Qualitätssicherung widmen.